Die Donau
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2. Die Donau im Sattel »erfahren«: mit dem Rad von Passau nach Budapest |
Auszüge aus dem Reisetagebuch 6.8.1997 »Tschuldigung, haben sie vielleicht einen Dosenöffner für uns?« Der dreizehnjährige Georg steht mit einer Raviolidose vor unserem Zelt. Seit letzter Woche ist er mit seinem Vater auf dem Donauradwanderweg unterwegs und zeigt uns stolz auf seinem Tacho, wie viele Kilometer er bereits in den Beinen hat. Wir tauschen Erfahrungen aus, fachsimpeln über Straßenzustände, Fahrradtechnik und Kartenmaterial. Heute seien sie 80 Kilometer gefahren, aber gemütlich, ohne zu hetzen. Dabei hatten sie noch genügend Zeit, um morgens die Raubritterburg Aggstein zu besuchen. An die ausgedehnte Mittagspause in einem der zahlreichen Radlertreffs erinnert sich Georg besonders gern, vor allem wegen der österreichischen Mehlspeisen. Den Dosenöffner hat in der Zwischenzeit die rüstige, grauhaarige Dame gebracht, die mit ihrer Freundin bereits zum vierten Mal an der Donau unterwegs ist, weil sie immer wieder neue reizvolle Entdeckungen machen. Dazu bedarf es offenbar nicht der neuesten technischen Ausrüstung: Die beiden Damen sind mit den guten alten Drei-Gang-Rädern unterwegs - und mit Packtaschen, Zelt, Schlafsack und Isomatten auf dem Gepäckträger. Abends sehen wir das fidele Team in einem »Buschenschank« (Heurigenlokal) wieder, in dem wir uns an einer »Brettl-Jausn« und Grünem Veltliner inmitten fruchtig duftender Marillenplantagen laben... 9.8.1997 Entgegen der empfohlenen Route unseres Fahrradführers haben wir uns auf die Ratschläge des neuseeländischen Kunststudenten aus Bratislava verlassen und sind eine nagelneue, schnurgerade Nebenstraße von Pama nach Deutsch Jahrndorf regelrecht entlanggeschwebt - wieso kommt der Wind bei unserer Tour entgegen jeder Radlerweisheit fast immer von hinten? Egal, hohen Gang rein und genießen. In Nickelsdorf, kurz vor dem Grenzübergang nach Ungarn, letzter Halt an einem »Tante-Emma-Laden«, der leider geschlossen ist. Samstag-Nachmittag, 28 Grad im Schatten, wir drücken uns die Nasen am Schaufenster platt. Jetzt ein kühles Getränk... Wir lassen unfeine Bemerkungen über Ladenschlussgesetze fallen und greifen nach den Fahrradflaschen mit dem lauwarmen Mineralwasser. Plötzlich hören wir eine freundliche Stimme - der ältere Herr in Freizeitshorts und Unterhemd erscheint an der Ladentür: Er habe uns vom Garten aus gesehen, fahre selber Fahrrad und wisse, was ein »g'scheiter Durst« sei. Er führt uns in seinen unbeleuchteten Laden und fordert uns auf, ordentlich zuzugreifen. Dazu gibt's noch reichlich Tipps für herrliche Schleichwege vor und nach der Grenze... 10.8.1997 Wir sind mit Muskelkraft
nach Ungarn gekommen! Der junge Mann mit der Schirmmütze
salutiert, geht dann zum Schlagbaum, öffnet ihn langsam
und mit wichtiger Miene für uns zwei Radler. Er freut sich
sichtlich über unsere ersten Versuche in ungarischer Minimalkommunikation.
Die nun folgenden Kilometer saugen wir alle neuen Eindrücke
auf wie ein Schwamm, tauschen Beobachtungen aus, entziffern
die ersten ungarischen Verkehrsschilder und Werbeplakate. Mosonmagyaróvár
rangiert in der inoffiziellen Rangliste der schönsten Zungenbrecher
ganz weit oben. Gespannt warten wir auf die ersten Sprachkontakte
mit Einheimischen. 11.8.1997 Montags Ruhetag. Ratlos stehen wir vor dem hohen Bretterzaun, der das frisch renovierte und gerade erst fertig gestellte Museum von Tata umgibt. Sollen wir unsere Reise extra einen Tag unterbrechen, um morgen wiederzukommen? Wieder hilft uns die freundliche Offenheit eines Einheimischen: Ob wir das Museum besichtigen wollten? Dann werde er mal den Direktor rausklingeln. Ein kurzes Gespräch, ein Zeichen, wir mögen unsere Räder mit in den Hof nehmen und schon bekommen wir eine Sonderführung durch das Ungarndeutsche Museum. Es entpuppt sich als Fundgrube interessanter Zeitdokumente, von Geräten aus Haushalt und Landwirtschaft über Kleidung, Schriftgut und Fotodokumentationen, begleitet von ausführlichen Texten und Karten zur Geschichte der ungarndeutschen Minderheit ... 12.8.1997 Es ist Mittagszeit, seit Stunden brennt die Sonne auf die Ausläufer des Gerecse-Gebirges. Wir haben die einzige ernsthafte Steigung unserer Tour in den frühen, noch angenehm kühlen Vormittagsstunden bewältigt und den phantastischen Blick über das Donautal bis weit in die Slowakei hinein genossen. Jetzt suchen wir in der winzigen Ortschaft Bajot nach der kleinen Schotterstraße, die laut Reiseführer an einer idyllisch gelegenen Klosterschule vorbei Richtung Esztergom führen soll. Der Ort ist so klein und abgelegen, dass es keine Hinweisschilder für den Ortsfremden gibt. Also wenden wir uns an eine junge Frau, die gerade die Wäsche ihres kleinen Sohnes zum Trocknen hinterm Haus aufhängt. Sie quittiert unsere radebrechenden Versuche in ungarischer Sprache mit einem Lächeln und einem Achselzucken, vermittelt uns dann an einen alten, hageren Mann mit zerfurchtem Gesicht, der gerade sein Fahrrad die Straße entlangschiebt. lstván spricht noch ein paar Brocken Deutsch und zeigt sich sofort interessiert und hilfsbereit. Er strahlt solche Herzlichkeit und Wärme aus, dass unser Gespräch sich nicht in der ausführlichen Wegbeschreibung erschöpft - wir erfahren von seiner Familie, seiner Vergangenheit im Krieg, seinen Erfahrungen mit Deutschen und Russen. Es sind nur wenige Wörter, die uns gemeinsam zur Verfügung stehen, der Rest wird mit Händen und Füßen, mit Mimik und Gestik kompensiert. Schließlich verabschieden wir uns voneinander mit großer Herzlichkeit und radeln weiter. Schon nach wenigen hundert Metern taucht an der Dorfstraße das einzige Café des Ortes. Kaum haben wir unsere Gläser ausgetrunken, stellt die Bedienung zu unserer großen Überraschung zwei weitere Gläser Limonade auf den Tisch; wir sehen uns verdutzt an, versuchen den Irrtum zu erklären. Die junge Frau winkt ab, ihrer Gestik mehr als ihren Worten entnehmen wir, dass ein alter Mann die Getränke bereits an der Theke für uns bezahlt habe ... 14.8.1997 »Húskészítmények Szalonnafélék« steht auf der linken Seite der Hauswand. Rechts daneben lesen wir in verzierten Lettern: »Rauchfleisch, Speck geräuchert ...«. Wir sind in Pilisvörösvár, am Ausläufer des Pilis-Gebirges, ungefähr 20 Kilometer vor den Toren Budapests. Unsere Zimmerwirtin, Frau Wippelhauser, erklärt uns, dass noch viele im Ort »schwobisch« sprächen, besonders die Älteren. Bei den Jüngeren stehe Englisch hoch im Kurs, aber selbstverständlich lernten die Kinder der deutschstämmigen Familien am örtlichen Gymnasium ab der ersten Klasse Deutsch. Ein Rundgang durch das Schulgebäude, in dem Frau Wippelhauser als Hausmeisterin und »gute Seele« tätig ist, versetzt uns in Staunen: Jeder Raum verfügt über einen Tageslichtprojektor, der Computersaal ist mit 30 nagelneuen PCs ausgestattet, die neu ausgebaute Pausenhalle dient gleichzeitig als Theaterraum mit Bühne und moderner Lautsprecher- und Scheinwerferanlage. Finanziert werde das meiste von der deutschen Bundesregierung, erklärt Frau Wippelhauser. An der Schule büffeln deutschstämmige und ungarische Schüler gemeinsam, schreiben ihre Abiturarbeiten über deutsche Literaturklassiker. Edith, die Tochter des Hauses, erzählt uns, dass viele Ungarndeutsche bereits in die Bundesrepublik ausgesiedelt seien. Für ihre Freunde und sie komme das nicht in Frage, schließlich lebten hier alle Freunde und Verwandten, hier fühle sie sich zu Hause. Tagsüber arbeitet Edith in einem deutschen Industriebetrieb in Budapest, wo ihr ihre soliden Deutschkenntnisse sehr zugute kommen. Abends tanzt sie zweimal in der Woche in einer ungarndeutschen Folkloregruppe, verbringt die Abende im Kulturzentrum des Ortes. Nein, die Heimat zu verlassen komme für sie überhaupt nicht in Frage ... Tipps und Hinweise zur Tour Der Donauradweg ist unter Radwanderern seit langem als Klassiker
bekannt. Besonders der ausgesprochen familienfreundliche Abschnitt
Passau - Wien wurde Anfang der neunziger Jahre in den Sommermonaten
sehr stark frequentiert - zu stark, wie manche meinten. Seit
drei Jahren sind die Besucherzahlen allerdings wieder stark
rückläufig - sehr zum Leidwesen der Gastronomiebetriebe.
Der Donauradweg ist durchaus
mit einem ganz einfachen Fahrrad zu fahren, neueste Technik
ist also nicht nötig. Auch braucht man sich für die
Tour keinesfalls wochenlang körperlich vorzubereiten -
auch schwach trainierte Radler können die Strecke in vernünftigen
Etappen bewältigen. Empfehlenswert ist eine gepolsterte
Fahrradhose, die einem das Sitzen im Sattel erheblich erleichtert.
Wer bis Budapest fährt, sollte sich mit den Ausspracheregeln
des Ungarischen und einem Minimum an Vokabeln vertraut machen,
nicht nur weil es der Verständigung dient und Spaß
macht, sondern auch weil jeder noch so ungelenke Gehversuch
in der Landessprache sehr positiv und erfreut zur Kenntnis genommen
wird. Wer sich dazu entschließt, das Donautal bis Budapest radelnd zu »erfahren«, dem sei abschließend geraten, einen Teil des Rückwegs per Schiff zu bestreiten: Das Schnellboot, das zwischen Wien und Budapest zweimal täglich verkehrt, transportiert auch Fahrräder. Die meisten Radler beenden ihre Tour mit einem Aufenthalt in Wien, um dann in einem Zug nach Hause zu fahren.
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